Das Beusch – Teil 9

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Als sie alle vor ihr zu stehen kamen, nickten die Würdenträger dem Schweinchen mit der Krawatte zu und dieses räusperte sich. „Also“, fing es an, „bei der Beratung des Rates kam folgendes heraus: Er ist der Meinung, dass sich der Grund für die Erdbeben außerhalb der Stadt finden lassen wird. Denn, wenn er sich hier in der Stadt befinden würde, hätte man ihn sicher schon gefunden. Also wäre es wohl das beste, du würdest dich einmal aufmachen und in der Gegend umschauen.“

Lara-Sophie nickte kurz, dann, als sie den Sinn der Worte verinnerlicht hatte, riss sie erschrocken die Augen auf. „Ich soll mich hier ganz alleine in die weite Welt aufmachen?“

„Nein, nein“, antwortete das Meerschweinchen und es schüttelte dabei heftig den Kopf. „Es wurde beschlossen, dass dich jemand begleiten soll, der sich ein wenig in der Gegend auskennt und den du verstehen kannst. Also, um es kurz zu machen: ich komme mit dir.“

„Und“, setzte Lara-Sophie zögerlich an, „hat man sich auch überlegt, was das sein könnte, wonach wir suchen sollen?“

„Nein, natürlich nicht“, antwortete das Schläfrige Hüpfmeerschweinchen erstaunt, „dafür werden wir ja raus geschickt. Ich meine, wenn wir schon wüssten, was uns erwartet, müssten wir ja erst gar nicht losziehen. Dann könnte man das Problem auch von hier aus lösen, meinst du nicht auch?“

Lara-Sophie nickte. Das Wesen hatte nicht unrecht. „Und, wann ziehen wir los?“

„Der Rat möchte, dass wir so bald wie möglich gehen. Also, ich packe mir noch schnell ein paar Sachen, dann können wir schon aufbrechen.“

—–

Nur etwa eine halbe Stunde später standen Lara-Sophie und das Schläfrige Hüpfmeerschweinchen mit der Krawatte vor der Stadt. Sie blickten in die Augen von tausenden hoffnungs- und erwartungsvollen Wesen. Es schien als hätte sich wirklich jeder aufgemacht, um diesen Moment mit seinen eigenen Augen beobachten zu können, vom Jungtier bis hin zum Greis. Die Menge war in heller Aufregung, die Schläfrigen Hüpfmeerschweinchen fiepten und gurrten immerzu, die Gelbgelben Blütenwusel liefen ununterbrochen hektisch im Kreis und auch die Zwockeligen Nichtsdestotrotze waren sehr nervös und traten stets von einem Fuß auf den anderen. Lara-Sophie fühlte sich sehr wichtig und sehr gebraucht, hatte aber auch unendlich viel Angst, zu versagen. Sie winkte den Bewohnern der sächsischen Stadt noch ein paar Mal zu, dann endlich drehten sie und ihr Begleiter sich um, um loszuwandern.

Wie bei ihrer Ankunft leuchtete der Himmel in strahlenden pastellenen Blau- und Violetttönen. Die Luft war klar und angenehm. Es lag auch ein dezenter Geruch von Keksen und Fluffelknuffeln in ihr, der wohl aus dem Rucksack des Hüpfmeerschweinchens neben ihr strömte. Die Wiese, auf der sie liefen, leuchtete hauptsächlich in einem hellgelblichen grün, es lagen aber auch alle anderen Farben dezent schillernd in ihr. Lara-Sophie hatte zunächst Angst gehabt, ihren Begleiter auf dem Untergrund nicht mehr ausmachen zu können, doch glücklicherweise schillerte er zum einen etwas kräftiger als die Wiese, und zum anderen schien er auch eher ins Blaue zu gehen. Immer wieder standen vereinzelte Funkelbäume herum, deren Stamm dasselbe helle Braun aufwies, das Lara-Sophie schon an den Häuschen in Oschatz gesehen hatte. Die Krone wies hauptsächlich einen Grünton auf, der etwas dunkler war als der der Wiese. Und trotzdem alles so hell schien und funkelte hatte Lara-Sophie nicht das Gefühl, dass das alles zu hell für ihre Augen wäre. Sie empfand die Gegend hier im Gegenteil als sehr schön und beobachtete sie gerne. Überhaupt hatte sie gerade eine sehr gute Laune und blickte zuversichtlich in die Zukunft.

Die beiden waren schon eine Weile gewandert, als Lara-Sophie plötzlich eine Frage kam: „Du“, fing sie an, „woher wissen wir eigentlich, ob wir in die richtige Richtung laufen?“

„Ganz einfach“, antwortete das Hüpfmeerschweinchen, „der Rat hat beschlossen, dass wir in diese Richtung gehen sollen.“

Lara-Sophie runzelte die Stirn. Diese Antwort stellte sie nicht zufrieden. „Und woher weiß der Rat, dass dies der richtige Weg ist?“, hakte sie nach.

„Nun ja, weil sie sich den Verlauf der letzten Beben angeschaut haben. Wenn man sie nach der Zeit ihres Auftretens mit einer Linie verbindet, so verläuft diese genau in diese Richtung.“

„Das ist aber schlau!“, rief Lara-Sophie aus. „Dann muss ich mir ja gar keine Sorgen machen.“

Und so gingen sie wieder eine Zeitlang still nebeneinander her, ohne auf irgendwelche Besonderheiten zu stoßen. Lara-Sophie wurde schon langsam ein wenig ungeduldig. „Sag mal“, fragte sie ihren Begleiter, „ist es noch weit?“

„Weiß ich nicht.“

„Wieso denn nicht?“

Er seufzte. „Weil wir nicht wissen, was wir suchen und wann wir darauf stoßen werden. Vielleicht dauert die ganze Aktion auch mehr als einen Tag.“

„Mehr als einen Tag?“ Lara-Sophie schwieg nun. Sie musste jetzt erst mal darüber nachdenken, dass sie möglicherweise nicht heute schon fertig werden würden. Damit hatte sie gar nicht gerechnet! Allerdings waren die beiden nun schon eine Weile unterwegs und hatten noch nichts hilfreiches gesichtet. Die kleine Lara-Sophie seufzte. Und es schien auch schon zu dämmern, denn der Horizont leuchtete immer mehr in den schönsten Rot-, Orange- und Gelbtönen. Auch ein wenig Violett mischte sich in das Farbenspiel. Lara-Sophie fing an, diesen Sonnenuntergang anzuschauen. Und je mehr sie schaute, desto weniger grübelte sie und schließlich beobachtete sie ihn ganz verträumt. Dann stutze sie.

Bei genauerem Hinsehen merkte sie, dass da etwas fehlte. Der Himmel wies zwar alle Farben und Farbübergänge eines Sonnenuntergangs auf, bloß konnte man keine Sonne sehen. Lara-Sophie meinte sich auch zu erinnern, dass die sich schon die ganze Zeit eher links hinter ihr befunden hatte. Sie schaute kurz über ihre Schulter. Jawohl, die Sonne war da, wo sie sie in Erinnerung hatte. Und sie war auch noch lange nicht am Horizont angekommen, es war noch eher Nachmittag als Abend. Lara-Sophie schüttelte kurz den Kopf. Hatte sie sich etwa geirrt? Sie blickte wieder gerade aus. Nein, der der Horizont vor ihr schien tatsächlich in einem weichen, hellen Gelb, das langsam mit einem warmen Rot verschmolz und schließlich in einem leichten Violett ausblasste, bevor es mit den Himmelsfarben verschmolz. Und außerdem bewegte sich das Farbenspiel . Ja, die Farben waberten am Horizont rhythmisch auf und ab.

Lara-Sophie verwirrte das alles. Sie schaute kurz auf ihren kleinen Begleiter, der das sicher auch bemerkt haben musste. Er wirkte jedoch keinesfalls beunruhigt oder verwundert, sondern ging ganz entspannt seines Weges. Nun, dann beschloss Lara-Sophie sich auch nicht zu sorgen. Vielleicht war es hier üblich, dass die Sonnenuntergänge hier nachmittags und unabhängig von der Sonne auftraten, das konnte sie ja nicht wissen.

Die beiden waren erst einen kleinen Hügel hinab gelaufen. Und jetzt mussten sie wieder eine leichte Steigung hinauf. Auf der Kuppe angekommen blieb Lara-Sophie abrupt stehen. Was sie da sah, verschlug ihr die Sprache. Sie sah eine riesige Ebene voller weicher, flauschiger Wölkchen, die in den schönsten Sonnenuntergangsfarben schienen und sich in stetiger Bewegung befanden. Die Wölkchen flossen ohne ein festes Muster aneinander vorbei, drehten sich umeinander, schwebten in weichen Bewegungen über die Ebene und leuchteten dabei in den herrlichsten Orange- und Rottönen. Lara-Sophie wusste gar nicht, was sie mehr beeindruckte: Wie unendlich weich und fluffig diese Wölkchen aussahen, in welch warmen, satten Farben sie schienen, oder wie anmutig und perfekt, beinahe hypnotisierend, ihre Bewegungen wirkten.

Lara-Sophies Begleiter schien dem Ganzen eine weitaus geringere Bedeutung beizumessen. Er war einfach weiter gelaufen und als er merkte, dass das Mädchen stehen geblieben war, drehte er sich um und seufzte.

4 Gedanken zu „Das Beusch – Teil 9

  1. Lara-Sophie nickte kurz, dann, als sie den Sinn der Worte verinnerlicht hatte, riss sie erschrocken die Augen auf. “Ich soll mich hier ganz alleine in die weite Welt aufmachen?” –> ich wollte ja solche Andeutungen eigentlich vermeiden – aber diese Stelle erinnert mich so dermaßen an Frido, dass ich das einfach nicht ungesagt lassen konnte. Aber wirklich … eins zu eins 😀 (könnt mich grad totlachen!)
    Sag mal – bekommt „das Wesen“ eig. noch einen Namen?
    blickten die die Augen –> Tippfehler, kurz nach dem Strich
    du hast in dem einen Absatz 2x kurz hintereinander das Wort „dezent“

    Jei – dieser Teil kann sich von den Beschreibungen fast mit der Regenbogen-Episode messen! Und das will was heißen!! Der Sonnenuntergang, der kein Sonnenuntergang ist, die Wolken (sind das Schafe?) … bizarre un betörend. WOW!!!
    Wo holst du das nur immer her? Ich dachte mal, ich hätte ne gute Portion Fantasie – aber gegen das hier ist meine Fantasie grau und scharfkantig … jeijeijei 🙂 🙂 🙂

    • Ist schon oke 😉 Stimmt ja auch 😀
      Wobei die Formulierung anders ist, bloß die Szene mehr oder weniger… Dieses „realisieren was jmd gesagt hat“. Aber meine Herrn, es gibt aktuell über 7 Millarden Menschen auf der Erde, da kann es schonmal passieren dass 2 Leuten sowas unabhängig voneinander passiert… 😉

      Zum Namen… mal gucken, ich hab schon nen Gedanken gefasst. Wie gesagt, mal gucken… 😉

      Zu den Wolken:
      Keine Fantasie, bloß Beobachtung 😉
      So sah der Himmel auf meinem Weg von der Arbeit nach Hause aus, an dem Tag, als ich die Regentropfen-Geschichte schrieb. Und seitdem freute ich mich schon darauf, diese Szene zu formulieren.

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